Sie kennt eine Reihe an Menschen, die unglücklich sind. Nicht durchgängig, aber erstaunlich oft.
Sie arbeitet mit dieser einen Kollegin, die nie lächelnd das Stationsbüro betritt, die manchmal auf den Tisch klopft, deren Mundwinkel so oft nach unten zeigen, dass sich bereits kleine Fältchen um den Mund gebildet haben, die sich vielleicht straffen würden, wenn sie lächeln würde. Sie tut es nicht. Nicht oft zumindest.
Sie betreut täglich eine Reihe an Menschen, die, wenn sie sie nach ihrem Befinden fragt, routiniert mit "Gut" antworten oder mit "Ach, es läuft schon" oder mit "Danke, wie geht es Ihnen?". Sie stellt die Frage manchmal zweimal nacheinander, nicht, weil sie beim ersten Mal nicht hingehört hat, sondern weil sie hinhört und weil "Danke" keine Antwort auf die Frage ist, wie es einem geht. Und weil manche Menschen bei der Frage, wie es ihnen geht, auf Fragen antworten, die sie gar nicht gestellt hat. "Wie geht es Ihnen?" - "Heute kann ich nach Hause gehen."
"Wie geht es Ihnen?" - "Ich glaube, dass mein Mann nachher noch vorbeikommt und ich würde gerne mit ihm runter in die Cafeteria."
Manchmal, wenn sie die Frage dann ein zweites Mal stellt und den Leuten in die Augen sieht, dann erreicht sie ein Lachen. Das Lachen hat nicht direkt etwas mit Glücklich-Sein zu tun, sondern mit Überraschung.
Sie glaubt nicht, dass diese Leute lachen, weil sie ihnen diese Frage stellt und die Antwort wirklich wissen will. Sie glaubt, dass die Leute lachen, weil sie sich diese Frage selbst lange nicht mehr gestellt haben.
"Wie geht es mir? Bin ich glücklich?"
Sie kennt eine Reihe an Menschen, die unglücklich sind. Nicht durchgängig, aber erstaunlich oft und sie liest dieses Buch - Hectors Reise und die Suche nach dem Glück. Sie weiss nicht, ob Hector herausfindet, was es ist - das Glück. Und sie weiss auch nicht, ob er am Ende der Geschichte ein Rezept zum Glücklich-Sein entwickelt. Sie hat das Buch noch nicht zu Ende gelesen.
Sie weiss nicht, warum sie so viele Menschen kennt, die unglücklich sind. Nicht durchgängig, aber erstaunlich oft. Sie weiss nur, dass Menschen auf die Frage, wie es ihnen geht, mit "Danke" antworten und sie hat so viele Menschen gesehen, die ganz offensichtlich unglücklich waren und die krank waren - ehrlich krank und ehrlich unglücklich (denn Unglück macht krank und Krankheit unglücklich, das weiss sie auch) und die lachen, wenn sie diese eine Frage zweimal stellt: "Wie geht es Ihnen?"
Sie glaubt nicht, dass diese Leute lachen, weil sie ihnen diese Frage stellt und die Antwort wirklich wissen will. Sie glaubt, dass die Leute lachen, weil sie sich diese Frage selbst lange nicht mehr gestellt haben.
"Wie geht es mir? Bin ich glücklich?"
Sie schreibt diesen Post für sich selbst.
Es ist bald schon März und eigentlich viel zu spät für Neujahresvorsätze. Und dennoch. Und überhaupt.
Vielleicht ist es auch ein Vorsatz fürs Leben. Nicht glücklich-sein, so einfach ist das nicht, sie hat kein Rezept dafür. Sondern sich die Frage zu stellen. "Bin ich glücklich?" Hineinzuhorchen.
Sie tut das nachmittags, wenn sie mit einer Freundin eine Tasse Tee trinkt. Oder abends, wenn sie im Bett liegt und seinen Arm um sich spürt. Sie tut das, wenn sie alleine ist und Musik hört, um sich zu entspannen. Sie tut das, wenn ihr Bruder sie fragt: "Wie geht es dir?" und sie "Danke" antwortet.
Sie tut es nicht.
Sie weiss nicht, wann die Frage an Wert verloren hat. Seit wann "Danke" eine akzeptable Antwort geworden ist.
Sie weiss, dass Hector diese Frage vielen Menschen stellt - auf seiner Reise.
Die Suche nach dem Glück. Sie glaubt nicht, dass sie reisen muss, um das Glück zu finden. Sie glaubt nicht, dass ein Rezept gibt. Sie glaubt nicht, dass es immer einfach ist und sie glaubt auch nicht, dass ein durchgängig glückliches Lebes existiert. Sie glaubt nur, dass die Frage: "Wie geht es dir?" mehr Aufmerksamkeit verdient. Und die Antwort auch.
Es ist ein Vorsatz. Ein Vorsatz fürs neue Jahr. Fürs Leben.
"Wie geht es mir? Bin ich glücklich?"